Wie auch bei Menschen gibt es bei Tieren scheue und neugierige Persönlichkeiten; die Einen beobachten lieber vorsichtig aus der Entfernung, die Anderen stürzen sich ohne Hemmungen ins Getümmel. Ich wohnte bereits 2 Jahre lang in einem kleinen Dörfchen, wo die mich umgebenden Katzenbanden aus der Nachbarschaft Null Interesse an mir zeigten. Das war ich nicht gewohnt, nachdem mich eine Freundin bereits Katzen-Magnet genannt hatte. Aber die Katzen hier hatten andere Pläne, und ich kam nicht darin vor.
Doch das änderte sich plötzlich. Eine Familie mit Katze war etwa zeitgleich mit mir in die Gegend gezogen, hatte ein Haus gebaut und ein Kind bekommen. Vermutlich waren es der Katze dann doch zuviele Änderungen und sie beschloss, dass es Zeit ist auszuziehen. Das startete damit, dass sie mit Nachdruck versuchte, bei allen möglichen Häusern in der Gegend in das Treppenhaus oder die Wohnung zu gelangen. Ihre Methode war lieb und zugleich dreist zu sein und dabei auch noch beharrlich zu bleiben. So kannte sie schnell die ganze Nachbarschaft und irgendwann versuchte sie es auch bei meinem Mehrfamilienhaus. Im Erdgeschoss wohnte eine alte, hundeverliebte Dame, hier war keine Chance. In der Mitte ein tierloses Paar, das zwar nicht unfreundlich zu Tieren war, aber dennoch mit Nachdruck der Katze klar machte, dass sie nicht willkommen war. Und oben wohnte ich.

Ich konnte noch nie fies zu Tieren sein und wollte es auch nicht. Anfangs gab es Streicheleinheiten vor der Haustür und schnell folgten die ersten Treppenhaus- und Kellerbesichtigungen. Wie eine menschliche Freundin wurde bald der Zutritt zu meiner Wohnung gefordert und ebenso die Besichtigung des Schlafzimmers. Katze muss ja wissen, wo man einzieht. Das Bett und Essbereiche sind Plätze, wo ich Tiere nicht sehen möchte, das schien Madame Miau aber recht schnell zu akzeptieren. Sie zerkrallte lieber meinen neuen Wohnzimmerteppich und legte sich dann zum Relaxen nieder. Zurückhaltung geht anders. Hätte sie schreiben können, die Bestellliste für Katzenklo, Fressplatz und Schlafkörbchen wären bereits aufgegeben worden.



Wie ich schnell merkte, waren Hochheben und Streichel-Sessions erlaubt und erwünscht. Gerade Streicheln erzeugte bei ihr hemmungslose Liebesbeweise in Form tretelnder Pfoten. Was ja noch süß ist, aber einen schmerzhaften Reiz bekommt, wenn Krallen dabei im Spiel sind. Dies schaffte sie in einer liebkosenden Heftigkeit, wie ich es noch nie bei einer Katze erlebt hatte. Ich lernte schnell, dass ich für Kuschelsessions sehr dicke Decken zwischen mir und der Katze brauchte. Und ich fragte mich, wie ihre Katzenmama das ausgehalten hat … aber egal, denn nun bekam ich andere Probleme. Mauzi wollte zwar immer gerne bei mir rein, aber nicht gerne raus. Da ich nach spätestens einer Stunde Sorge bekam, dass sie mangelns Katzenklo andere Gegenstände in meiner Wohnung missbraucht, musste ich sie unter Widerwillen aus meiner Wohnung und dem Treppenhaus entfernen. Dies bedeutete heruntertragen und vor der Haustür absetzen, was jedoch schwieriger war als gedacht, da sie schneller reinhuschen konnte als ich die Tür schließen.
Ab nun wartete mein neues Teilzeit-Haustier immer häufiger vor der Haustür. Teils Stunden, teils die halbe Nacht. Aus Sorge, dass Mauzi in den kalten Nächten erfrieren könnte, stellte ich ihr einen Karton vor die Haustür, in den prompt eingezogen wurde. Die halbe Miete zu mir hatte Mauzi damit geschafft, wie mir schnell klar wurde – der Karton musste also wieder weg.
Doch die Katze wusste irgendwann besser Bescheid, wann ich das Haus verließ oder wiederkam als ich selbst. Und natürlich wollte sie immer mit rein. Da ich häufig auch zur Arbeit musste, ging das natürlich nicht immer. Sie lernte schnell und fing an, zusätzlich auch mein Auto zu besetzen. Und öffnete jemand anderes die Haustür, huschte sie im Treppenhaus bis ganz nach oben und wartete vor meiner Wohnungstür.


Soweit noch ganz niedlich, auch wenn ich das Gefühl nicht los wurde, von einer Katze gestalkt zu werden. Mauzi fand immer neue Wege ins Treppenhaus und war dort teilweise stundenlang eingesperrt. Meine langsam genervten Nachbarn machten mir mittlerweile klar, dass ich zu putzen habe, wenn sich meine Katze einsperren lässt und dann in den Flur pinkelt. „Meine“ Katze … alles klar. So schnell wird man also Katzenbesitzer. Mir dämmerte langsam, dass es unklug war, tierlieb zu sein. Denn nachdem wir uns mit den anderen Nachbarhäusern ausgetauscht hatten, wurde mir klar, dass die Katze ihre Streifzüge beendet hatte und ausschließlich zu mir wollte. Meine Schwester bot mir bereits die Ausrüstung ihrer unlängst verstorbenen Katze an. Einmal gingen meine Nachbarn früh morgens zur Arbeit; Miezi nutzte die Dunkelheit, huschte unbemerkt durch die geöffnete Haustür und startete oben an meiner Wohnungstür ein Kratzkonzert. Ich wachte davon auf, dachte an Einbrecher und öffnete mit einem 200er-Puls die Tür. Ein seeliges Miau von unten machte mir klar, dass diese Nacht beendet war.
Mittlerweile war der Katzenfrust im Haus so hoch, dass mir meine Mitinsassen indirekt Katzen-Streichel-Reinlass-Verbot erteilten. Ich versuchte nun also, Mauzi zu erklären, dass Liebesbeweise nur noch unbemerkt vor der Tür gingen. Jedoch war ihr Verständnis eher gering und die Belagerungen hielten an. Vor Verzweiflung versuchte ich es mit Leckerlis, was zum Weglocken zwar ganz gut klappte, aber die Situation nicht besser machte, da nun Streicheln UND Leckerlis gefordert wurden. Die mittlerweile informierten, eigentlichen Katzenbesitzer konnten nicht helfen, schließlich war es eine Freigängerkatze. Und das Baby rauszuwerfen oder wieder umzuziehen schied als Lösung aus.
Man riet mir, sie zu ignorieren, was aber bei Katzen eher zu noch mehr Beharrlichkeit führt, wie jeder Katzenfreund weiß. Insbesondere, wenn man vorher wie ich so dumm war, diese regelrecht auf mich zu konditionieren. Ich versuchte nun mein Bestes, ihr nicht mehr über den Weg zu laufen, checkte vor dem Verlassen von Haus oder Auto die Umgebung und rannte bei Anzeichen von mauzender Gefahr davon. Oftmals schien die Luft rein, ich wagte mich ins Freie, doch Sekunden später schallte mir ein „Au au mau …“ entgegen. In meinen Gedanken lief in so einem Moment ein Timer, wieviele Sekunden mir noch blieben, um mich hinter eine Tür zu retten. So langsam wusste ich, wie sich Stalking-Opfer fühlen müssen.
Um das Spiel zu gewinnen, brachte Mauzi mieserweise Verstärkung ins Spiel. Sie tauchte immer häufiger mit einer scheinbaren Freundin auf. Die hielt in der Ferne Wache, Miezi neben der Tür. Der Wahnsinn schien perfekt, bis ich merkte, dass die beiden ein nicht gerade freundschaftliches Verhältnis pflegten. Neid und Missgunst? Super Sache! Als die Hass-Freundin unter meinem Auto lauerte, packte ich meine Katze, die sich wohlig schnurrend über meine wiedererlangte Aufmerksamkeit freute, und setzte sie direkt am Auto ab. Der Katzenabstand betrug nun urplötzlich weit unter einem Meter und es begann ein interessantes Missfallens-Konzert, welches mir genug Zeit gab, entspannt ins Haus zu gehen. Denn meine Miezi hatte für sie unerwartet andere Sorgen bekommen.
Man mag nun denken, dass dieses Spiel ewig so weiterging. Aber Katzen wären keine Katzen, wenn sie nicht ebenso schnell umschalten könnten. Eben noch gekrallt, jetzt schnurrend auf dem Teppich. Heute mein Lieblingsessen, morgen davon angewidert. Und so war auch ich nur ein Spielball in der geheimen Weltherrschaft der Katzen – und wurde vergessen. Ohne Grund. Wochenlang passierte nichts. Keine Katze, kein Miau. Die Monate gingen ins Land. Mit regelrechtem Wehmut musste ich mit ansehen, wie meine Katze vor ihrem eigenen Haus saß, mich sah, und – nichts tat. Wie sie an meinem Haus verbei streifte, ich sie rief, sie mich ansah – und weiterging. Ich glaube diese Abfuhr war schlimmer als es je eine Ex-Freundin von mir vermocht hatte. Aber manchmal, wenn ich gar nicht damit rechne, höre ich doch ein Mauzen vor meiner Tür. Denn auch wenn die große Liebe vorbei war, Besuche beim Ex gingen weiterhin. Wenn auch nur noch, um sich etwas Streicheln zu lassen und dann Leckerlis einzufordern. Denn ich habe ja ein Herz für Tiere. Miau!
