Oder: Lasset die fröhlichen Wasserspiele beginnen
Wasser ist schon ein tolles Element: Es macht einen nass, je nach Qualität dreckig oder sauber, es kann Dinge reinigen oder verunstalten. Es wird zum Häuserbauen gebraucht und kann diese auch ruinieren, man kann darin schwimmen oder ertrinken, kurzum: Wie die Sonne oder Sauerstoff ist es lebenswichtig und zugleich gefährlich. Es kann aber auch ungemein biestig sein, wie die folgende Geschichte zeigen wird. Und auch wenn sie sehr nach halluzinogenen Träumen klingt: Sowas denke ich mir nicht aus! Viel Spaß mit dieser etwas längeren Realsatire aus meinem Leben – das Lesen lohnt sich.
Es passierte in einer schönen Winterzeit: Wie so oft fuhr ich zu Weihnachten zu meinen Eltern, um dort zu feiern. Trotz Auto nahm ich die Bahn, denn aller Mobilität zum Trotz empfand ich lange Strecken so als deutlich entspannter. Außerdem war ich mein Leben lang nur Bahn gefahren, also militanter Bahnfahrer durch und durch. Diese Entscheidung würde ich noch bitter bereuen. Nach der üblichen feucht-fröhlichen Weihnachtszeit, in der es dieses Jahr ungewöhnlich viel regnete, fuhr ich kurz vor Sylvester zurück nach Hause. Routinemäßig packte ich aus und nahm dann den Autoschlüssel, um einmal nach dem geliebten Corsa zu sehen, der knapp 10 Tage ohne mich ausgekommen sein musste. Noch während ich mich dem Wagen nährte, bemerkte ich, dass etwas anders war: Ich brauchte ein wenig um zu begreifen, dass die komplett beschlagenen Fenster des Wagens nicht von Außen beschlagen waren, sondern von Innen. WTF … mit flauem Gefühl schloss ich den Wagen auf – ein elektronisches System besaß der Wagen zum Glück nicht – und öffnete die Fahrertür. Ein Geruch von Moor, Verwesung und Schimmel schoss mir entgegen. Der optische Eindruck war auch nicht besser: Die Fahrerseite hatte sich in eine Badewanne mit grüner Oberfläche verwandelt, die Polsterung sämtlicher Sitze und der Innenverkleidung war übersäht mit haarigem Schimmel in den unterschiedlichsten Farben. Eigentlich war das ein Anblick, der fotografisch hätte festgehalten werden müssen, nur leider war ich dazu nicht in der Lage.
Ungefähr 3 Bier und ein verzweifeltes Telefongespräch später fasste ich den Entschluss, meinen geliebten Wagen nicht aufzugeben. Wäre doch gelacht! Ich gebe niemals auf, kommt gar nicht in Frage, und das ist mein erstes Auto! Also ging es los: Erstmal den Wagen lüften, um die Feuchtigkeit aus der Luft heraus zu bekommen, was im Winter wegen der trockenen Außenluft noch einfach ist; das spätere Trocknen würde hingegen interessant werden – Sonne und Wärme gab es ja nicht. Während des Lüftens schöpfte ich das Wasser aus dem Fahrer-Fußbereich mit Eimern nach draußen; die Beifahrerseite war zwar feucht, aber Wasser stand dort nicht. Anschließend legte ich eine Decke über die ruinierten und verschimmelten Polster, um mich auf den Fahrersitz setzen zu können. Nun wurde es spannend: Würde der Wagen starten? Oder es irgendwo funken und einen Kurzschluss geben? Alles explodieren? Ich hatte keine Wahl – der Wagen stand auf einem Parkplatz, mehrere hundert Meter von meiner Wohnung entfernt, und um eine Chance zu haben, musste ich diesen auf die Auffahrt des Hauses bekommen. Diese hatte mir meine Vermieterin freundlicherweise nach einer Erklärung freigeräumt, wenn auch kopfschüttelnd; sie selbst hätte den Wagen weggeschmissen, aber sie kannte mich. Als ich den Schlüssel drehte, leuchteten tatsächlich Anzeigen auf – diese waren jedoch unlesbar wässrig, da selbst hinter die Abdeckungen Wasser eingedrungen war. Ich ahnte Böses, hatte aber keine Wahl; auf dem Parkplatz würde der Wagen endgültig verrotten. Also drehte ich bis zur Zündung.
Ein Freudenschrei hallte durch die Stadt – der Wagen sprang an! Völlig überwältigt wagte ich mich mit dem Stück Rost auf die Straße, während das Wasser im Wagen fröhlich durch die Gegend schwappte. Aber der Motor lief! Mega-vorsichtig fuhr ich bis zur Hausauffahrt, welche überdacht war; das würde für eine Weile weiteren Schaden abwenden, woher auch immer das Wasser gekommen war. Nun ging es richtig los: Da der Wagen sowieso komplett nass war, mischte ich mir eine Anti-Schimmel-Desinfektionsmischung selbst zusammen und verteilte diese großzügig im gesamten Wagen. Die Autobatterie hatte ich vorsichtshalber abgeklemmt. Anschließend wischte ich sämtlichen Schimmel ab, der zu sehen war, und reinigte den kompletten Wagen von Innen; eine Sauerei, die ich hier nicht weiter beschreiben möchte. Im Laufe dieser Arbeiten wurde mir bewusst, dass die Innenverkleidung auf der Fahrerseite nicht mehr zu retten war. Fluchend nahm ich Seitenschneider, Zange und Säge zur Hand und riss die komplette Verkleidung heraus. Die triefenden Überreste warf ich in den Restmüll – von den mitleidigen Blicken meiner Vermieterin begleitet, die mir mittlerweile anbot, dass ihr Mann sein Auto eh verkaufen wolle. NEIN! Wenn ich etwas will, dann .. ach egal. Als nächstes drückte ich aus den weniger durchnässten Polstern und Verkleidungen das Wasser heraus und nahm es mit einem Schwamm auf. Danach sah der Wagen schon wieder ganz gut aus, war aber leider weiterhin nass und roch suboptimal.


Mittlerweile war es Nacht geworden; ich ließ den Wagen mit offenen Türen zurück und killte den bereits dezimierten Bierkasten endgültig. Am nächsten Tag ging es fröhlich weiter: Trockne ein Auto, das mehr Wasser aufgesaugt hat als in eine Badewanne passt, deodoriere ein Auto, das schlimmer stinkt als 10 nasse Hunde, und werde den schrecklichen Kater los. Für das Wasser erdachte ich mir eine Spezialkur: Da es draußen zu kalt war, um den Wagen in der Sonne zu trocknen, bewaffnete ich mich mit Föhn und Heizlüfter, baute beides ins Auto ein und ließ diese bei geschlossenen Türen auf vollen Touren heizen. Sobald der Geruch unerträglich und die Hitze langsam Sauna-Temperatur erreicht hatte, öffnete ich alle Türen und ließ die Mischung heraus. Da Wärme Wasser aufnimmt, konnte ich so das Wasser aus den Polstern ziehen, und da die kalte, einströmende Luft fast keine Feuchtigkeit enthielt, hatte ich optimale Bedingungen. Gegen den Gestank sollte Kaffeepulver helfen, also deponierte ich kiloweise offenporige Tütchen mit Kaffee im ganzen Auto – monatelang. Und gegen den Kater half neues Bier.
Die Auto-Trocknungsphase zog sich den kompletten Tag bis in die Nacht hinein hin. Abends war der Wagen bereits so trocken, dass ich auf den Polstern sitzen konnte. Bewaffnet mit Büchern, Bier, Stirnlampe und Föhn saß ich die halbe Nacht im heimeligen Auto, genoss das Wechselbad von Kälte und Hitze und las eine Geschichte nach der nächsten. Vorbeigehende Passanten guckten, aber wagten es nie, Fragen zu stellen. Verrückte soll man ja machen lassen.



Es ist morgens und ich habe es geschafft: Der Wagen ist trocken! Er riecht sogar weniger süßlich als vorher. Ein Traum! Ich schloss die Batterie an, drehte den Schlüssel, sah eine nun lesbare Instrumententafel, dann sprang der Motor an und surrte wie am Schnürrchen. Um soviele Pilzsporen wie möglich aus den Polstern loszuwerden, klopfte ich alles dutzende Male ab, während ich im Luftzug eines überdimensionierten Ventilators stand. Ich kaufte mir Sitzbezüge, natürlich im Rennauto-Design, schließlich war der Wagen um ein paar Kilo Innenverkleidung leichter und damit sicher schneller geworden, und überzog damit sämtliche Sitze. Denn der Schimmel war zwar weg, aber die Stellen als umrandete Flecken überall zu sehen. Und dann fuhr ich wieder mein geliebtes Auto – nun zwar auf blankem Metallboden, aber egal. Läuft!




Nun ging es daran, die Ursache für den Wassereinbruch zu finden. Vielleicht hätte ich dies zuerst machen sollen, aber soweit hatte ich in meinem Enthusiasmus bislang nicht gedacht. Mit dem neu aufgemöbelten Wagen fuhr ich zur Werkstatt meines Vertrauens und erklärte mein Problem: Irgendwo kommt Wasser rein. Ich hatte dies bereits im Feldversuch mit dutzenden Eimern voller Wasser simuliert und war mir recht sicher, dass es über die Frontscheibe passieren musste. Die Werkstatt fand mein Auto so spannend, dass sie die Herausforderung annahmen. Challenge accepted! Später berichteten sie mir, dass das Wasser über die Frontscheibe in den Motorinnenraum gelaufen war und sich dann in der Motorwanne gesammelt hatte; das ist noch normal, dort gibt es Wasserabläufe, welche auch nicht verstopft waren. Doch stattdessen muss das Wasser über ein Loch in den Innenraum gelaufen sein. Sie vermuteten, das Leck gefunden und geschlossen zu haben. In diesem Glauben blieb auch ich – bis zum nächsten stärkeren Regen. Gefrustet suchte ich nun eine Opel-Vertragswerkstatt auf: Wenn es einer können muss, dann die! Doch die fast 4x so teure Reparatur brachte denselben Erfolg: Keinen. Weiter lief bei jedem Regen fröhlich Wasser in den Innenraum und ich musste wieder mit dem Eimer schöpfen. Immerhin gab es nun keine Verkleidung mehr, die nass werden konnte. Einmal stand ich auf dem Parkplatz meiner Firma und schöpfte nach Feierabend Eimer um Eimer aus dem Auto, während mein Chef mit seinem Mercedes neben mir anhielt, die elektrische Scheibe heruntersurren ließ und trocken bemerkte: „Sowenig bezahle ich dir nun auch nicht.“
Ruhe auf den billigen Plätzen.
Ein paar Wochen später entschied ich mich zu einer Verzweiflungstat: Wenn ich schon beim Fahren im Regen einen Bach zwischen meinen Füßen habe, der langsam zur hin und her schwappenden Badewanne wird, dann soll der wenigstens von selbst wieder ablaufen. Eine Bohrmaschine mit Metallbohrer später hatte ich ein Euro-großes Loch an der tiefsten Stelle des Fahrerbodens und ab sofort einen lustigen Freiblick auf die Straße unter mir. Sicher nicht ganz TÜV-konform, aber der ist ja erst in 1 Jahr … . Zynische Bemerkungen meiner Freunde, dass irgendwann der Bodenbereich durchrosten und ich auf der Straße sitzen könnte, oder dass ich das Loch größer machen und dann mit den Füßen anschieben könnte, ignorierte ich gekonnt. Neulingen in meinem Auto erklärte ich geduldig, dass der Flusslauf bei mir normal ist und mit welchen Wasserpegel sie zu rechnen haben. Am Ende gewöhnten sich alle daran, dass ich bei längeren Fahrten im Regen hin und wieder anhalten und dem Fluss nachhelfen musste, der erst ab einem gewissen Pegelstand das Loch traf. Dass es bei mir also zur Tagesroutine gehörte, „mein Auto zu entwässern“. Und dass ich bei Frost den Luxus einer autointernen Eisbahn besaß, schließlich war der metallene Boden ein perfektes Kühlelement. Um dann noch fahren zu können, brauchte es Fußmatten und etwas Übung.

Hiermit neigt sich die Geschichte wirklich ihrem Ende. Wer wissen will, wie es weiterging: Der Wagen hielt kein Jahr mehr durch. Nach einem traumhaften Sommer hörte sich der Motor immer schlechter an. Vielleicht weil er laut Handbuch nur für 150 km/h ausgelegt war, ich aber täglich auf der Autobahn zu meiner Arbeit den Wagen bis auf 190 bei 6000 Umdrehungen hochzog – im Rotbereich für eine halbe Stunde. Was will man auch machen, wenn man jeden Tag 70 km zur Arbeit muss, auf der Strecke eine völlig leere Autobahn ohne Geschwindigkeitsbegrenzung liegt und man einfach nur ankommen will? Nun, ganz einfach: Job kündigen. Das tat ich dann auch, doch für den Corsa war es zu spät. Das endgültige Ende kam, als ich eines Tages feststellte, dass nun auch auf der Beifahrerseite Wasser reinlief. Ich hätte dort ebenso die Verkleidung rausreißen und ein Loch bohren müssen. Da ich mittlerweile wegen dem Jobwechsel keinen Wagen mehr brauchte und nie wieder rasen wollte, gab ich den Wagen auf. Er ging dorthin zurück, wo er her kam: An den freundlichen Garantielos-Händler. Dieser nahm den Wagen kommentarlos zurück, ich bekam nichts dafür und war das Drama los. Auch wenn es mich ein paar Tränchen gekostet hat, schließlich hatte ich mein erstes eigenes Auto lieb. Ein paar Tage später stand der Corsa erneut auf der Händler-Website: „An Bastler zu verkaufen, 990 €“. Na dann viel Erfolg … .
Monate später kaufte ich mir einen gebrauchten Renault Twingo, dessen Power den Corsa nochmal unterbot, schwor mir länger leben zu wollen, das Rasen aufzugeben und fuhr mit dem Rad zur neuen Arbeit, die nur wenige Kilometer entfernt war.
Ende gut, alles gut? Jaein. Es gab da noch kleines Wasser-Malheur mit meinem Geschirrspüler in der Küche, welches zur selben Zeit passierte, als ich meine motorisierte Badewanne das erste Mal vorfand. Ein Unglück kommt halt selten allein … aber das ist eine andere Geschichte.