Schnee – das weiße Zeug, was früher immer im Winter fiel und sogar liegen blieb. Auch in Norddeutschland, wo es sich gerne mit gefrierendem Wasser vereinigte und eine gewisse Hindernis-Ästhetik bot:

Ich kenne noch die Zeiten, als es soviel Schnee war, dass man bis zu den Knien versinken konnte und Schlittenfahren an allen Hängen problemlos möglich war. Da mir Abfahrten auf geplätteten Hängen oft zu langweilig erschienen, der dortige Massentourismus zu nervig, versuchte ich mich gerne an Tiefschnee im Wald. Wege waren zu langweilig, denn Steilböschungen boten mehr unerwartete Abwechslung: Dornenbüsche, Felsen oder Baumstämme, welche unter dem Schnee verborgen waren. Das Gefühl, wenn der Schlitten crashte, man selbst aber mit vollem Impuls weiterflog, war mir bestens bekannt. Oder wie es sich anfühlte, wenn einen dutzende Dornen freundlich aber bestimmt abbremsten. War es weniger Schnee als gewünscht, versuchte ich es einfach mit steileren Hängen, um den Bremswiderstand auszugleichen; der Schlitten neigte dann zu ebenso spontanen Stopps, nur der Fall war weniger sanft. Lag praktisch gar kein Schnee, war es einfach die Trotzigkeit eines erwachsenen Kindes, dennoch Schlitten fahren zu wollen.

Eine tolle Erinnerung habe ich an einen Abend, als ich mit meiner Freundin und einem Freund eine Tiefschnee-Schlittenzieh-Schlacht veranstaltete. Ziel war der Bergkamm eines großen Waldes und als „Weg“ dorthin hatte ich einen Grenzweg rausgesucht gehabt, der selbst im Sommer nur durch Suchen zu erkennen war und durch unwegsames Gelände verlief. Entsprechend mussten wir unsere Schlitten über Stunden tragen. Als wir endlich den Kamm erreichten, stellte ich mit Begeisterung fest, dass ein Trecker seinen deutlichen Spuren im Schnee hinterlassen hatte. Dieser war zwar meine ungeliebten Wege abgefahren, hatte dafür aber deutliche Radabdrücke im Schnee hinterlassen. Deutlich bedeutete, dass die zusammengepressten und verfestigten Radspuren mehrere dutzend Zentimeter tief waren und damit auch deutliche Ränder aus mehr oder weniger festem Schnee besaßen. Mir war nach Sekundenbruchteilen klar, dass dieser Trekker eine geniale Bobbahn gebaut hatte! Mit Seitenwänden! Und Doppelspur! Völlig begeistert suchte ich die Stelle, wo der Trekker den Weg zum Kamm hochgefahren sein musste, und fand diese. Vor uns lagen zwei Bobbahnen in gleichmäßigem Abstand von erster Güteklasse: Mit verfestigtem Schnee als Boden, hohen Seitenwänden links und rechts für die Spurführung und eine Hangneigung, die steil genug war, um Speed zu bekommen.
Mein Freund nahm die linke Spur, meine Freundin und ich zusammen auf einem Schlitten die rechte. Auf die Plätze, fertig, los! Die Fahrt startete wie erwartet sehr rasant, die Bobbahn-Wände leiteten den Schlitten perfekt um jede Kurve und unsere Freudenschreie hallten durch den Wald! Bis die Linkskurve kam, wo in der rechten Bobspur die rechte Außenwand lückenhaft war. Also bei uns. Die Freudenschreie meiner Freundin änderten Höhe und Ton, als sie das Unglück kommen sah. Ich saß hinter ihr und konnte wenig sehen, ahnte aber Ungemach und versuchte noch eine halbherzige Bremsung, die jedoch wenig zu ändern vermochte. Wie erwartet nahm der Schlitten dieses Mal nicht die Kurve, sondern die neben dem Weg verlaufende Böschung. Ich entschied mich für taktischen Absprung nach hinten, der Schlitten für taktischen Stopp am nächsten Baum. Meine Freundin entschied sich gar nicht. Immerhin traf es den Schlitten am schlimmsten.
Noch spannender als diese Aktion war jedoch ein starker Schneefall des Nachts in meiner Großstadt. Es fiel dermaßen viel Schnee, dass ich ungeheure Lust bekam, rauszugehen und im Schnee zu toben. Ein Freund von mir wohnte nur einige Kilometer entfernt und ließ sich leicht überreden, mal eben vorbei zu kommen. Wir machten uns auf und wanderten zu einem größeren Grünstreifen in der Stadt, welcher als Überschwemmungsfläche nie bebaut worden war. Dort fanden wir sie: Die Fußgängerbrücke über einen Fluss. Es war fast Mitternacht, niemand unterwegs, der Schnee fiel unentwegt. Interessanterweise war der Neuschnee pappig und klebte extrem schnell zusammen, was ich von Neuschnee so nicht kenne. Vermutlich lagen die Temperaturen nur um den Gefrierpunkt, aber das hat meine heutige Demenz leider mittlerweile vergessen.
Und so kam, wie es kommen musste: Wir fingen an, zum Spaß neben der Brücke Schneebälle zu rollen. Und stellen fest, dass die Schneebälle extrem gut klebten und allen Schnee mitnahmen, der auf dem Boden lag. Schnell war ein Schneeball gerollt, der Hüfthöhe erreichte und alleine nicht mehr zu bewegen war. Wir taten uns zusammen und rollten einen zu zweit weiter, bis der Schneeball langsam Brusthöhe hatte. Dieses Monster musste dutzende Kilos wiegen, sicher schwerer als ein Mensch. Doch durch die runde Form ließ er sich bewegen, wenn auch immer schwerer. Und dann musterten wir gleichzeitig, wie auf Kommando, die Brücke. Und unseren Monster-Schneeball. Und einen leichten Abhang von unserem Standort bis zur Brücke hinunter. Ohne Absprache begannen unsere Augen zu glänzen, wir rollten die weiße Tonne den Abhang hinab und nutzten den Schwung, um sie bis auf die Brücke zu bekommen. Unser Werk war vollbracht.
Ein Schneeball mit einem Durchmesser von mindestens 2 m stand auf der Brücke, höher als wir. Sein Gewicht war vermutlich zwischen Gut und Böse und sicher mehr, als wofür die Brücke jemals ausgelegt worden war. Die Brücke war aus Holz und eben nur eine Fußgängerbrücke, die auch nicht wirklich breit war. Genauer gesagt, war sie nun ebenso breit wie unser Schneeball. Oder andersherum. In jedem Fall stellten wir mit Freude fest, dass es nicht mehr möglich war, ohne Kletterpartie die Brücke zu überqueren. Und mit Rad gar nicht. Wir versuchten nochmal den Schneeball zu bewegen – keine Chance. Die Tonne lag in der Ebene und jegliche Bewegung war unmöglich geworden.
Voller Stolz verließen wir eiligst den Ort unseres neusten Kunstwerks und malten uns die Gesichter der Menschen aus, die am nächsten Morgen dort mit dem Rad zur Arbeit fahren oder mit dem Hund Gassi gehen wollten. Sie würden Spaß haben. So wie wir!