„Du stöhnst wie ein alter Mann und kreischt wie eine Frau!“ Das sind Sätze, die ich häufiger höre, und ich bin stolz darauf. Stolz, dass ich mich bereits mit 40 anhöre wie kurz vor der Rente, und stolz, dass ich jeder (hysterischen) Frau Konkurrenz mache, wenn ich schreie. Aber warum tue ich das überhaupt? Ich weiß es selbst nicht. Vermutlich weil es sonst niemand tut.
Zum Stöhnen brauche ich keinen Sex. Bei Freudenhaus-Höhepunkten bin ich auch nicht laut, sondern soll nur riesige schwarze Pupillen bekommen, die Frauen an einen psychopathischen Serienmörder denken lassen. Da trifft es sich gut, dass ich das nicht sehen muss. Dafür bin ich bei den weniger spannenden Dingen des Lebens umso lauter. Da wäre zum Beispiel das Aufstehen aus dem Bett. Diese doch sehr herausfordernde Prozedur hört sich an, als ob Walross Robby versucht, seine Partnerin zu besteigen und dabei immer wieder scheitert.
Habe ich es dann doch endlich aus dem Bett geschafft, begleiten klangvolle akkustische Laute viele meiner graziösen Bewegungen. Ob nun in die Knie gehen oder wieder hochkommen, Bücken am Schrank oder Treppensteigen, was wäre das Leben ohne dezent hervorgebrachte Laute der Anstrengung. Dabei variiere ich kunstvoll zwischen Ächzen, Stöhnen und Schnaufen. Ich bin sogar so gut darin geworden, dass ich es gar nicht mehr merke, wie sehr ich mich wie eine Dampflokomotive vor dem letzten Anstieg anhöre. Meine Unnormalität realisiere ich erst, wenn mich andere Menschen fragen, ob ich krank bin oder Hilfe brauche. Nein danke, ich bewege mich nur, die Geräusche gehören dazu. Das versteht aber nicht jeder. Besonders weil ich nicht so breit wie hoch bin, sondern recht schlank und sportlich aussehe.
Sogar beim simplen Betreten meines Büros wissen meine Kollegen ohne Aufzusehen, wer den Raum betreten hat. Vermutlich war das Drücken des Türgriffs eine so kräftezehrende Herausforderung, dass ich diese musikalisch untermalen musste. Von dem Akt des Auspackens meiner Tasche, PC einschalten und Kaffee holen gar nicht zu reden. Mein 60-jähriger Kollege sagt, dass ich mich wie ein 80-jähriger benehme. Und das ist vermutlich für diesen eine Beleidigung.
Ich bin jedoch nicht faul, weder auf der Arbeit noch körperlich. Wenn ich in meinen perfektionistischen Workaholic-Arbeitsstil verfalle oder in den Bergen mit 18 kg-Rucksack auf einen 3000er-Gipfel klettere, mache ich weniger Geräusche. Vermutlich fehlt mir dann einfach die Luft dazu.
Doch ein letzter Hilferuf um Unterstützung vor dem sicheren Tod ist dies nicht. Mitleid erbitte ich mir nur, wenn ich 38 Fieber habe, aber meine Geräuschkulisse auf 42 Grad und kurz vor dem Grab schließen lässt. Wir Männer leiden schließlich bei Fieber mehr als Frauen! Bei Schnupfen sowieso. Oder wenn ich etwas Schweres tragen muss und damit jedes Recht für akkustische Begleitung habe, wobei ein paar mehr Dezibel als nötig nie schaden können. Klingt halt dramatischer. Ansonsten bin ich mit meinem Stöhnen sehr glücklich.
Etwas schwieriger wird es für die Freundin, die meine Tonausgaben gerne mit Kommentaren wie „Die anderen machen nicht so einen Aufstand!“ versieht. Ja, ich weiß, aber Stöhnen und Kreischen ist einfach total sexy und ich möchte die Situation mit allen Sinnen genießen! Damit kommen wir zum Kreischen: Ich bin besser als jede Frau, sowohl in der Tonhöhe wie auch Lautstärke. Ob ich nun zum Spaß den Abhang an einer Steilküste herunter rutsche und dabei feststelle, dass dieser steiler ist als gedacht; ob ich nun im Klettergarten in 10 Metern Höhe frei ins Seil springen soll; oder ob ich aus Vergnügen im schrägen Schneefeld rutsche und dabei schneller werde als geplant.
Auch das Baden in kühlerem Wasser ist ein akkustisches Highlight bei mir, für das ich Eintritt nehmen sollte. Ein typisches Mädchen halt. Es sei nur angemerkt, dass jedes Mädchen leiser ist als ich.
Somit lässt sich zusammenfassen: Wenn ich absichtlich in eine dumme Situation gerate, die volles Adrenalin von mir verlangt, werde ich laut. Oder wenn ich als sonst recht stiller Mensch meiner Umgebung mitteilen möchte, dass mein derzeitiges Erlebnis außergewöhnlich schön / spannend / schlimm / scheiße ist. Man lebt nur einmal!