Schon seit meiner Geburt an bin ich mit einer akribischen Genauigkeit gesegnet, egal ob ich Wäsche nach einer bestimmten Ordnung aufhänge, meine Stifte vertikal zu Kanten ausrichte oder den Abstand zwischen Wohnzimmertisch und Stühlen immer wieder korrigiere, wenn ein unbedarfter Gast diesen unerfreulicherweise ändert. Diese Ordnungsliebe zieht sich auch durch meine Tagesplanung hindurch. Wenn ich eine ToDo-Liste erstelle, dann ist sie dafür da um abgearbeitet zu werden, und zwar der Reihenfolge nach. So ergab es sich, dass diese Reihenfolge an einem schönen Sommertag folgendes vorsah:
– Aufstehen
– Frühstücken
– Zähne putzen
– Hausarbeit
– Einkaufen
– Packen für Zeltausflug
– Fahrräder vorbereiten
– Nochmal aufs Klo
– Losfahren zum Zeltplatz
Nun muss man wissen, dass mit mir Einkaufen kein Spaß ist. Ich brauche beim Einkaufen von Lebensmitteln so lange wie Frauen bei Kleidung. Bis also die ToDo-Liste hinter dem Punkt Einkauf angekommen war, neigte sich der Nachmittag bereits dem Ende. Gut, das machte nichts, denn es war Sommer und da ist es lange hell. Also weiter im Plan, eingepackt, Fahrräder vorbereitet. Meine Freundin wurde langsam ungeduldig, denn nun war es bereits abends und wir waren noch nicht mal losgefahren, während unsere Freunde bereits vor Ort waren und ihre Zelte aufgebaut hatten. So gegen 19 Uhr startete dann unsere Tour zum Zeltplatz. Realistisch rechnete ich mit 3 Stunden Fahrt + 1 Stunde Zeltaufbau = 23 Uhr finito. Passt, Zeitplan eingehalten.
Nun muss man wissen, dass ich gerne Zeitpläne aufstelle, aber selten in der Lage bin diese auch nur annährend zu halten. Meine Gründlichkeit kostet einfach mehr Zeit als ich zuzugeben bereit bin. Zumindest bei der Planung. Später nehme ich alles in Kauf was länger dauert, solange ich meine Ordnungsliebe beibehalten kann, sprich auch die Reihenfolge. Also war ein späteres Losfahren mit dem Rad völlig OK. Wie erwartet hatte ich mich bei der Fahrzeit auch ein wenig vertan. Die 45 km bis zum Ziel dauerten bei unserer Beladung und Erschöpfung nach dem ganzen Tagwerk doch länger als gedacht. Außerdem ging die Sonne früher unter als geplant. So waren wir um 22 Uhr noch lange nicht am Zeltplatz, aber die Sonne bereits am Horizont. Und um 23 Uhr war es so dunkel, dass ich die Radkarte nicht mehr lesen konnte. Die damaligen Handys besaßen keine Taschenlampe und eine eigene hatten wir nicht dabei. Schließlich sah meine Planung nicht vor, im Dunkeln zu fahren. Notgedrungen rief ich meinen Vater an, der schon lange beim Zeltplatz war, meldete unsere ungeplante Lage und schlug das Angebot einer Auto-Suchtrupp-Entsendung aus. Denn dann hätten wir die Fahrräder zurücklassen müssen, da diese nicht ins Auto gepasst hätten: „Ne, das geht gar nicht, nachher klaut die noch jemand über Nacht. Wir machen das schon.“
„Schon“ bedeutete in diesem Fall, meiner Freundin eine Nacht im Freien schmackhaft zu machen. Mit den Worten „so ein Kornfeld ist doch ganz romantisch“ suchte ich uns ein Getreidefeld neben dem Feldweg raus. Dann die Fahrräder soweit rein, dass uns niemand von Außen sehen konnte. Anschließend einen Kornkreis schlagen, um eine Art Fußboden zu erhalten, Isomatten druff, Schlafsack dazu und gut is. Wie schön dass dieser Abend (und die folgende Nacht) trocken war, denn das hatte ich nicht geplant. So nahmen wir ein köstliches Abendmahl bestehend aus Chipstüten und Leitungswasser bei malerischem Sternenhimmel ein. Romantik pur!
Die hielt jedoch nur bis zum nächsten Morgen, was angesichts der Situation schon ziemlich lange war – wofür ich meiner Freundin echt hätte dankbar sein müssen. Aber nun erwachte ich vom Dröhnen eines Treckers und mir wurde schlagartig bewusst, dass bei dem guten Wetter Mähdrescher unterwegs sein konnten. Und wir waren im Feld kaum zu sehen. Mit einem Anflug von Panik wollte ich aus dem Schlafsack heraus und griff an – in – etwas schleimiges. Meine Verzweiflung wuchs gigantisch, als ich ein Prachtexemplar von Nacktschnecke in der Hand hielt. Nun, es blieb nicht bei einer. Ein verzweifelter Blick auf meinen Schlafsack gewährte mir eine regelrechte Invasion von Nacktschnecken. Was auch immer an meinem Schlafsack so toll war, er war nicht mehr unter meiner Kontrolle. Irgendwie kam ich aus dem verschleimten Ding heraus, nur um festzustellen dass der Trecker weit entfernt unterwegs war. Gut, die Gefahr 1 war gebannt. Die Gefahr 2 war hingegen weiter präsent – wie ich mit Schaudern nun feststellte, nicht nur AUF meinem Schlafsack: Auch IM warm-feuchten Inneren hatten sie es sich bequem gemacht. Und da drinnen hatte ich gelegen, die ganze Nacht! Während ich mir schwor, nie wieder draußen zu schlafen, weckte ich meine Freundin, die mit beinahe verträumtem Blick die „süßen Tierchen“ bewunderte, die auch ihren Schlafsack bevölkerten.
Es sei an dieser Stelle angemerkt: Dies blieb nicht mein einziges Abenteuer im Freien. Aber das sind andere Geschichten. Und mit fortlaufender Lebensreife wurde auch meine pedantische Ader deutlich besser als bei diesem organisatorischen Highlight-Fail. Wir schafften es am Morgen jedenfalls zum Zeltplatz und während meine Freundin frühstückte, baute ich das Zelt auf. Der Appetit war mir vergangen.