Der Pferdeflüsterer

Zu Beginn meiner Zivildienstzeit hatte ich die Ehre, zu einer Zivildienstschule gehen zu dürfen, wo man sein zukünftiges Handwerk als temporärer Diener im nicht-militärischen Bereich erlernt. In meinem Fall war es die Zivildienstschule am Ith. Diese lag wunderbar abgeschieden auf dem Rücken eines langgezogenen Mittelgebirgszugs. Bis auf ein paar Häuser, einen Segelflugplatz und viele Felsen zum Klettern gab es hier nichts. Entsprechend waren meine freien Stunden nicht mit lebhaften Alkohol-Exzessen gefüllt, sondern mit einsamen Wanderungen. Was mir aber nichts machte, denn ich wandere gerne.

So hatte ich einen Tipp von einem Lehrer bekommen, die Rothesteinhöhle zu besuchen, eine im Sommer frei zugängliche, natürliche Höhle, die mit knapp 60 m Ganglänge sehenswert ist. Außerdem riet man mir, den nahe gelegenen Flugplatz zu besuchen; bei gutem Wetter und guter Laune der Piloten konnte man das Glück haben, bei einer Runde mitgenommen zu werden. Es war jedoch kein gutes Wetter und das Flugfeld lag verwaist vor mir; was jedoch nicht schlecht war, denn eigentlich hatte ich Flugangst. Ich kletterte daher in die nahe gelegene Rothesteinhöhle, sah mir alles an und machte mich dann auf den Rückweg. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine Menschenseele getroffen; meine Mit-Zivis hatten keinen Bock auf eine Wanderung gehabt und das eher mäßige Wetter wohl andere Wanderer abgeschreckt. Doch zu meinem Erstaunen traf ich zurück am Flugfeld auf Lebewesen – nur keine menschlichen. Es waren zwei Pferde.

Diese schritten in etwas Entfernung von mir unschlüssig über das Flugfeld – trotz der „Betreten Verboten“-Schilder, denn es gab keinen Zaun. Kaum sahen sie mich, kam freudige Bewegung in die beiden Tiere und sie trabten, beinahe galoppierten auf mich zu. Ich wusste in dem Augenblick nicht, ob ich wegrennen oder bleiben sollte, entschied mich aber dafür, Pferde nicht als Menschenmörder zu betrachten und blieb stehen; irritiert und mit klopfendem Herzen, warum die beiden auf mich zurasen. Doch sie wollten nur eines: Zusprache, Streicheleinheiten und Gesellschaft. Außer mir war ja auch niemand da. Ich begann mich langsam zu fragen, woher zwei freilaufende Pferde kommen könnten. Dem Flugplatz werden sie nicht gehören und als Wachhunde taugen sie nicht viel. Ich entschloss, dass die Pferde dies schon selbst wissen werden, schließlich gab es hier keine Zäune und sie waren freie Pferde. Nach etwas Aufmunterung ob des tristen Wetters wollte ich zurück zur Zivildienstschule gehen. Doch ich hatte die Rechnung ohne die beiden gemacht.

Denn fortan hatte ich zwei treue Begleiter. Egal wohin ich ging, die Pferde waren immer neben mir. Als sich dieser Zustand auch nach einer Viertelstunde wandern nicht änderte, wurde mir klar, dass ich ein Problem hatte. Oder die Pferde. Ich konnte schlecht mit den beiden im Schlepptau die Unterkünfte der Zivildienstschule betreten; das wäre zwar eine denkwürdige Situation geworden und hätte sicher für etwas Furore gesorgt, aber vielleicht nicht im positiven Sinne. Ich wusste mir daher nicht besser zu helfen, als die Polizei mit meinem Handy anzurufen. Nun war ich froh, dass ich mir erst vor wenigen Wochen das erste Handy meines Lebens gekauft hatte. Der Polizeibeamte nahm meine Schilderung amüsiert zur Kenntnis, wusste aber nicht, wie er mir helfen sollte. Während des Gesprächs kam ein Wagen die lange Fahrstraße Richtung Fluglatz entlang gefahren. Der Fahrer hielt bei mir an und erklärte, dass er ein Farmer aus der Gegend sei, der diese Pferde kenne. Sie gehören einem Mann, der die beiden immer wieder vernachlässige, so dass die Pferde auf der Suche nach Futter und Zuwendung ausbüxen und das nicht zum ersten Mal.

Der Polizeibeamte freute sich an dieser Stelle, dass er aus der Sache raus war. Auch ich wollte mich freuen und verdrücken, denn jetzt konnte der Mann übernehmen, ob er wollte er nicht. Jedoch waren die Pferde strikt dagegen und hielten sich weiterhin in meiner Nähe auf. Zu meinem Glück hatte der Mann Connections und sehr bald kam eine Frau aus einem nahe gelegenen Dorf zu uns. Sie hatte ein Auto samt Pferdeanhänger dabei und wollte die beiden Streuner vorerst bei sich auf dem Hof aufnehmen, bis die Lage für die Pferde geklärt war. So wurde ich meine unfreiwilligen Begleiter doch noch los. Was aus ihnen und dem unfürsorglichen Besitzer wurde, habe ich jedoch nie erfahren.