Nach fest kommt locker

Wenn man den Hauptwasserhahn nicht findet

Am Ende meiner Mannheim-Zeit renovierte ich zusammen mit meiner Mutter die gemeinsame Wohnung von meiner Freundin und mir. So weit, so gut – wir verbrachten 3 lustige Tage mit dem Renovieren, was sich in der Küche als sehr abenteuerlich gestaltete, weil die Deckenhöhe des Altbaus dort fast an die 4 m ging. Auf einer altersschwachen und einsturzgefährdeten Holz-Klappleiter meiner Vermieterin, die vermutlich genauso alt war wie sie, vollführten wir akrobatische Höchstleistungen. Das Monster war fast genauso hoch wie die Decke; einer hielt es fest, der andere betete, stieg hoch und malte:

Die Abende wurden Bier- und Weinflaschen geköpft und auf Isomatten in der bereits leergeräumten Wohnung übernachtet. Soweit alles normal. Doch am letzten Tag wollten wir nach getaner Arbeit ins Kino – meine Mutter wollte „Deutschland. Ein Sommermärchen“ sehen, der nach der mitreißenden Fußball-WM 2006 ins Kino gekommen war. Ich hatte zwar auf einen Fußball-Film keinen Bock, aber mochte ihr dennoch eine Freude machen und mitkommen. Da ich vom Renovieren völlig verschwitzt war, wollte ich vorher eine letzte Dusche nehmen. Und damit begann das Drama.

Die Dusche, wenn man sie so nennen durfte, war eine Komplettduschkabine. Solche Duschen besitzen Rückwände und Anschlüsse für Wasserzulauf und Ablauf. Wie der Name sagt, bestehen sie aus einem Stück, sind somit portabel und können überall im Raum aufgestellt werden, so man Leitungen dorthin bekommt. Meine Dusche stand zwar in einer Ecke, aber in der Küche:

Das lag daran, dass mein Badezimmer gerade so groß war, dass ein Klo und Mini-Waschbecken rein passte. Übrigens mit Kaltwasser. Gut, was will man von ehemaligen Bäckerei-Räumen erwarten, die umgebaut als Wohnraum vermietet wurden. Dafür waren sie günstig. Aber zurück zur Dusche: Damit diese Wasser bekommen konnte, musste sie natürlich am Zulauf angeschlossen sein. Wegen der Renovierung hatten wir die Dusche weggerückt und vorher von allen Anschlüssen getrennt. Ich schloss den Abfluss wieder an und entschloss mich nun, beim Zulauf nur Kaltwasser anzuschließen, das ging schneller. Da die Dusche keinen Mischer besaß, sondern einzelne Hähne, bestand auch keine Gefahr, dass das kalte Wasser aus dem (nicht angeschlossenen) Heißwasseranschluss raus lief.

Nun stand ich also nackt in der Dusche und drehte auf: Nichts passierte. Doch das konnte nicht sein, ich hatte den Kaltwasserhahn an der Wand aufgedreht. Ich verließ die Dusche und drehte nochmal dran herum. Zurück in die Dusche, aufdrehen: Es tröpfelte, aber mehr auch nicht. Und nun tat ich das fatale: Zurück beim Hahn an der Wand drehte ich diesen zu und schraubte den Zulaufschlauch wieder ab. Verwundert stellte ich fest, dass es auch aus dem komplett zugedrehten Hahn tropfte, und das gar nicht mal so wenig. Also lag hier das Problem, irgendwas stimmte mit dem Hahn nicht. Um ihn wirklich zu schließen drehte ich nochmal kräftig zu. Was folgte waren Minuten, die mir wie Stunden vorkamen.

Mit Erstaunen beobachtete ich, wie ein komplett zugedrehter Hahn genau das Gegenteil tat: Plötzlich schoss das Wasser mit vollem Leitungsdruck aus dem Hahn. Da nun kein Duschzulauf mehr dran hing, lief dieses nicht in die Dusche, sondern direkt in die Küche auf den Boden. Völlig entsetzt drehte ich den Hahn in alle Richtungen und stellte fest, dass es irgendwie kein fest mehr gab; aber es gab sehr viel und mäßig viel Wasser, je nach Position. Nur kein Aus – der Wasserhahn hatte Leerlauf in alle Richtungen. Ich suchte die wasserflusstechnisch harmloseste Position und versuchte dann verzweifelt, das Wasser mit meiner Hand zu stoppen – sinnlos. Ich versuchte den Schlauch zur Dusche wieder aufzudrehen, aber der Druck war zu stark. Nun stand ich also splitternackt und nassgespritzt in der Küche, unter mir ein entstehender See, vor mir ein laufender Wasserhahn und als einzig greifbare Rettungshilfe fand ich einen 5l-Putzeimer. Nach kurzer Abschätzung war mir klar, dass der maximal 1 Minute durchhalten würde. Doch ich hatte nicht mit meiner Mutter gerechnet.

Ich sprang in irgendwelche greifbaren Klamotten, riss mir die Hose hoch und raste gleichzeitig auf das Treppenhaus zu, um in den 1. Stock zu gelangen, wo meine Vermieterin wohnte. Denn mir war klar, dass der Hahn schrott war und ich nun den Haupthahn der Wohnung oder des ganzen Hauses brauchte – nur wusste ich leider nicht, wo diese waren. Ein Fehler, der mir bei zukünftigen Wohnungen nie wieder passieren sollte … . Just in diesem Augenblick kam meine Mutter durch die Haustür des Mehrfamilienhauses. Sie war einkaufen gewesen und wusste noch nichts von dem Drama. Ich rief ihr zu, sie solle keinesfalls an dem Hahn in der Küche drehen, rannte die Treppe hoch und begann das Sturmklingeln meines Lebens bei meiner 80-jährigen Vermieterin – in der Hoffnung, dass diese überhaupt da war. Von unten hörte ich nun Worte, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließen: „Ach, der ist doch nur nicht richtig zugedreht, ich mache das schon!“ Mein NEIN!!! verhallte ungehört. Meine Vermieterin öffnete endlich mit völligem Unverständnis die Tür und schaute meinen halbnackten Anblick noch unverständlicher an. Ich schrie ihr „Wasserschaden! Ich muss den Haupthahn schließen!“ entgegen und meine Mutter quittierte diese Aussage mit einem gellenden Schrei von unten, als sie feststellte, dass nach halb-offen nur noch ganz offen kam.

Meine Vermieterin hatte mir während der Mietjahre erzählt, wie sehr sie Angst vor Wasserschäden hat, weil sie schon einige in ihrem Leben mitgemacht hatte. Ihr Highlight war ein Abwasserschlauch einer Waschmaschine gewesen, den die Mieterin über ihr in die Badewanne geklemmt hatte und der bei Abwesenheit der Bewohnerin ein Eigenleben entwickelt hatte. Entsprechend wurde die gute Oma in diesen Sekunden sehr rüstig und zugleich äußerst zittrig. Sie fischte nach irgendeinem Schlüssel und beeilte sich, die Treppe herunterzukommen und mir gleichzeitig klarzumachen, dass alle Haupthähne im Keller waren. Meine Mutter hatte zwischenzeitlich verstanden, warum sie den Hahn nicht hätte anfassen sollen, denn nun war wieder der volle Leitungsdruck vorhanden und sie konnte den Eimer nicht so schnell in der Spüle auskippen, wie nebenbei die Küche geflutet wurde. Ihre verzweifelten Schreie hallten durchs Haus. Die Oma hatte es mittlerweile geschafft, die Kellertür aufzuschließen, und ich schoss eine extrem steile und dunkle Treppe nach unten in die Schwärze. Es vergingen gefühlte Minuten, bis die Oma selbst unten angekommen war und den Lichtschalter gefunden hatte. Das spannende am Keller war, dass dieser düstere Schrägschächte zum Erdboden hatte und nun aus diesen das Geschrei aus der Küche wiederhallte. Am spannendsten aber war, dass meine Mutter den Namen ihres längst getrennten Ehemanns rief. Der ist technisch äußerst versiert, nur dummerweise hunderte Kilometer entfernt.

Mit meiner Vermieterin hatte ich im Keller endlich den Raum mit den Haupthähnen gefunden, doch das Drama sollte einen neuen Akt beginnen. Die Hähne waren an der Decke angebracht und diese war – Altbau – zu hoch, um sie mit meinen 1,84 m zu erreichen. Außerdem waren es mehrere Hähne für alle einzelnen Wohnungen und ob einer davon der Haupthahn des ganzen Hauses war, konnte ich im Halbdunkel der funzeligen Glühlampe (und bei meinem Adrenalinpegel) nicht ausmachen. Ich schrie die arme Oma voller Verzweiflung regelrecht an, welcher der verdammten Hähne denn meiner sei. Sie wusste es nicht. Ein Traum! Und dran kam ich an diese auch nicht. Meine Vermieterin hastete in einen Nebenraum, von wo sie eine Leiter holte. Soweit eine Top-Idee, mit einem Haken: Es war eine Anlegeleiter und die Hähne waren mitten im Raum, hier gab es nichts zum Anlehnen! Für die Decke war die Leiter zu kurz, um sie dort zu verkeilen. Ich hätte durchdrehen können! Von draußen hatten die Schreigeräusche mittlerweile merklich abgenommen und ich hörte nur noch den melodischen Fluss eines Wasserstrahls mit Volldruck. In Gedanken sah ich einen See in der frisch renovierten Küche, der mittlerweile aus der Wohnungstür lief. Die Oma kam nun auf die rettende Idee, dass sie die Leiter halten könne, während ich aufsteige und die Hähne zudrehe – in ihrem Alter eine passable Leistung. Und so stieg ich auf, drehte einen Hahn zu, hörte draußen keine Veränderung, wiederholte das Spiel beim nächsten Hahn … und nach dem dritten verebbten die Geräusche von oben. Es war plötzlich so still im ganzen Haus, dass es unheimlich war und ich mich fragte, ob meine Mutter einen Herzinfarkt erlitten hatte.

Langsam schlich ich die Kellertreppe hoch; egal was mich oben erwarten würde, ich wollte es nicht sehen. Es war zwar nicht mehr meine Wohnung, aber ich war an dem Drama irgendwie mitschuldig und außerdem hatten wir 3 Tage Arbeit in die Renovierung gesteckt. Das erste, was ich oben sah, waren mehrere meiner Nachbarn. Diese hatten die Angstschreie meiner Mutter gehört und waren zu Hilfe gekommen. Und hatten richtig gehandelt: Im Hof des Hauses gab es ein größeres Bäumchen, das in einem riesigen runden Blumenkübel steckte. Diesen hatten die Nachbarn kurzerhand auf dem Hof ausgekippt, den riesigen Kübel in die Küche getragen und unter den Hahn gestellt. Tatsächlich hatte das Riesengefäß gereicht und war noch nicht mal voll. Dennoch, die Menge an Wasser auf dem Boden war nicht zu verachten. Während ich völlig fertig von der Aktion war und fast noch mehr bedauerte, dass ich nicht mehr duschen konnte, beseitigten meine Mutter und die Vermieterin das Wasser aus der Küche. Meine Vermieterin sagte noch, dass der entstandene Schaden nicht mein Problem sein solle, und damit war die Wohnungsübergabe abgeschlossen. Meine Mutter und ich gingen ins Kino – nach dieser Aktion noch verschwitzter und ungeduscht. Wie der Film war, weiß ich nicht mehr, denn ich träumte von unerreichbaren Wasserhähnen, spritzendem Wasser und wackeligen Leitern.