Das Klopapier-Monster

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Ungewöhnliche Schlafplätze

Nachdem meine großen Party-Jahre vorbei waren, hinderte dies mich weiter nicht daran, die seltenen Gelegenheiten zu feucht-fröhlichen Exzessen zu nutzen, die sich mir boten. Eine davon war auf der eher unbekannten und kleinen Kanareninsel El Hierro. Hier sind nur wenige Kanaren-Touristen zu finden, dabei ist die Insel ein Kleinod an unberührter Natur. Jedoch bedeutet dies im Umkehrschluss auch, dass Fremde schnell auffallen, und junge Erwachsene erst recht – denn diese ziehen aus Jobgründen und Langeweile fast alle von der Insel weg. Zwar war ich bereits Mitte 35, aber aufgefallen bin ich trotzdem – einer eher zweifelhaften Schönheit der Insel. Vielleicht sollte ich eher verzweifelt sagen? Es war ja kaum jemand in ihrem Alter vor Ort. Optisch sah sie aus wie 50, sollte aber jünger als ich sein, wie ich später herausfand.

Während ich und meine Mitreisenden, die eher dem rentennahen Spektrum zuzuordnen waren, am zweiten Tag auf der Suche nach einem besonderen Baum mit kultureller Geschichte waren, fielen wir der Dame auf. Ehe ich mich versah, hatte ich weibliche Gesellschaft. Meine mangelnden Spanisch-Kenntnisse störten sie nicht im geringsten und als ich verstanden hatte, dass es den Baum wegen eines Sturms nicht mehr gab, wurden wir zum Kaffee eingeladen. Oder ich? Die Dame des nahegelegenen Cafés war die Freundin meiner neuen Freundin und gefiel mir weitaus besser, aber ich musste notgedrungen mit dem Vorlieb nehmen, was ich ungewollt erobert hatte. Meine Lady ließ jedenfalls nicht locker und machte mir unmissverständlich klar, dass ich ohne Abgabe meiner Handynummer nicht mehr hier weg komme. Der Trick mit dem Zahlendreher zog auch nicht, sie überprüfte die Nummer sofort und forderte dann die korrekte an. Ich bekam ihre und den Namen Lorena ins Handy getippt. Anschließend durften wir gehen.

Die Folgetage startete ein von Missverständnissen und Übersetzungsproblemen durchzogener Chat mit meiner neuen Flamme, während mir meine Reisegefährten klarzumachen versuchten, dass ich was Besseres nicht finden werde und es auf eine Nacht auch nicht ankäme. Wie schön, dass ich gar nichts wollte, aber alle davon ausgingen … . Nachdem ich herausgefunden hatte, dass die Gute nur wenige hundert Meter von unserer Unterkunft entfernt wohnte, versuchte ich ein wenig netter zu sein und ein paar Sternenhimmel-Meerblick-Bett-Flirtworte einfließen zu lassen. Aber was auch immer ich da in Spanisch versucht hatte, die Kommunikation ebbte ab diesem Augenblick schlagartig ab. Ich war unverhofft zufrieden und der Urlaub konnte beginnen. Nie hätte ich gedacht dass, wo und wie ich sie wiedersehen würde.

Der Urlaub neigte sich dem Ende und wir hatten die ganze Insel unsicher gemacht, nur Party feiern war nicht drinnen gewesen. Es gab weder Partylocations noch Leute, die hätten feiern wollen. Bei einem feuchtfröhlichen Abend in unserem hauseigenen Restaurant vertraute mir ein chilenischer Urlauber an, dass schräg gegenüber ein Puff sein solle, er hätte davon gehört. Das sei aber geheim, denn die Inselbewohner sind streng religiös und hätten sowas niemals geduldet. Interessiert schauten wir uns das Gebäude an: Außen stand „Bar“ dran, eine Treppe führte bereits vor dem Gebäude in den Keller, wo der Eingang sein sollte. Der Chilene traute sich nicht herunter, also nahm ich mir noch ein Bier, ein Herz und checkte das Gerücht. Die Bar war tatsächlich eine Bar, und Überraschung Nummer 1 war die Barfrau: Die Freudin meiner Ex-Freundin! Betreibt die Frau also ein Café und eine Bar. Voller Freude sah ich, dass es hier Craft-Bier gab, was ich sonst nirgendswo gefunden hatte, und blieb. Der Chilene schlich irgendwann auch ängstlich hinterher. Während ich mich dem weiteren Rausch hingab, kam ich mit einem ausgewanderten Deutschen ins Gespräch, der sich als Hellseher und Zukunftsdeuter vorstellte. Obwohl Astrologie, Esoterik und der ganze Kram mir sonst gegen den Strich gehen, zog mich der Mann mit seinen Deutungen so in den Bann, dass ich einer Wahrsagung meines weiteren Lebens zustimmte und ihm am Ende heulend vor Rührung 20 € in die Hand drückte. Oder mehr? Vielleicht auch eher besoffen statt berührt … Emotionen und Alkohol sind nie eine gute Mischung.

Meine restlichen, im Restaurant feiernden Kollegen hatten mittlerweile den Nicht-Puff und damit mich gefunden und teilten mir mit, dass sie ins Bett gehen werden, aber den Schlüssel zur Wohnung von Außen stecken lassen, damit ich später herein komme. In El Hierro ist die Verbrechensrate so gering, dass sowas nicht ungewöhnlich ist. Während ich überlegte, mit welchem Bier ich mich endgültig abschießen sollte, traf mich Überraschung Nummer 2 wie ein Schlag: Die Tür ging auf und wer kam herein – Lorena! Hatte die Barfrau also ihre Freundin informiert, dass ich hier bin. Auf Grund meines Zustandes war das folgende Gespräch jedoch recht kurz und Mylady entschied sich für den Hellseher, der mit ihr kurz danach knutschend und fummelnd an der Bar stand. Erst da fiel mir auf, dass diese Bar tatsächlich eine Treppe zu Zimmern besaß, wohin die beiden kurz danach auch verschwanden. War es etwa doch ein Puff? Ein Bar-Puff? Und meine Ex eine Prostituierte? Ist die Barfrau zu haben? Oder ist sie die Puffmutter? Warum bin ich so betrunken? Fragen über Fragen … ich entschied mich für taktischen Rückzug.

Am Eingang traf ich auf einen alten Mann, der lauthals über diesen Sündenpfuhl der Insel protestierte; dafür reichte sogar mein Spanisch. Zusammen mit der herbei geeilten Barfrau beförderte ich den Mann wieder nach draußen. Langsam wurde mir klar, dass ich wohl wirklich in einer Art Puff gewesen sein muss, nur weniger auffällig.

Wankend arbeitete ich mich bis zur Eingangstür unseres Hotels vor. Drückte die Klinke: Verschlossen. Ich ruckelte nochmal daran, aber sie war weiter verschlossen. Scheiße! Der Wohnungsschlüssel mochte ja stecken, aber die Eingangstür war verrammelt worden! Handy raus, Uhrzeit: 3 Uhr nachts. Sauber. Ich kann meine ebenso betrunkenen Kollegen doch nicht jetzt anrufen! Wenn es überhaupt jemand hören würde. Kurz überlegte ich, im Puff nach einem Bett ohne Begleitung zu fragen, entschied mich aber dagegen. Wäre doch gelacht, wenn ich nicht eine andere Lösung finde! Diese hieß Buschwerk, befand sich wenige hundert Meter vom Hotel entfernt und bot einen halbwegs blickgeschützten Lagerplatz. Nach Regen sah es nicht aus, relativ warm war es ebenso – passt schon. Ist ja nicht das erste Mal, dass ich draußen im Busch schlafe. Da unser Abend direkt neben dem Hotel stattgefunden hatte, war ich ohne Jacke und nur mit T-Shirt raus gegangen; wer konnte auch erahnen, dass ich im Busch pennen würde!

Die folgenden 3 Stunden waren härter als erwartet, denn es war doch kalt und windig, wenn man sich nicht bewegte. Gegen 6 Uhr zitterte ich am ganzen Körper und stand auf, um einen besseren Schlafplatz zu finden. Nach etwas zielloser Suche in unserem Mini-Städtchen fand ich eine unterirdische, öffentliche Toilettenanlage. Diese war etwas wärmer und recht sauber, also zog ich mich in ein Klo zurück und versuchte sitzend auf dem Klodeckel zu schlafen. Es war aber immer noch kalt und ich konnte nicht einschlafen. Mir fiel ein, dass ich von einem Obdachlosen mal gelernt hatte, dass Zeitungspapier als Decke etwas wärmt. Zeitungen gab es hier nicht, aber … moment, genialer Einfall: Klopapier! Die folgenden Minuten brauchte ich, um meinen Körper möglichst gleichmäßig mit abgerolltem Klopapier zu umhüllen. Anschließend schlummerte ich tatsächlich selig von Dannen.

Etwas später riss mich ein Geräusch aus dem Schlaf des Gerechten: Jemand schien sich zu waschen und Zähne zu putzen. Noch halb alkoholbenebelt war meine Neugier dennoch geweckt, wer sowas früh morgens in einer öffentlichen Toilette macht, und so öffnete ich die Klotür und schaute hinaus. Mir begegnete der Blick eines vermutlich Obdachlosen, der sich gerade frisch machte. Doch sein Blick war irgendwie seltsam, als hätte er den Teufel vor sich. Ich brauchte etwas, um zu kapieren, dass nicht er der Verrückte ist. Ein Blick zum Spiegel offenbarte mir ein Klopapiermonster und ein Blick zurück zu meinem Klo ein ungewöhnliches Schlachtfeld. Innerhalb von 10 Sekunden hatte ich mich abgerollt, den Papierberg gen Mülleimer befördert und mich aus der Toilettenanlage hinaus geschlichen.

7 Uhr … das erste Café auf meinem Rückweg öffnete gerade, also gönnte ich mir einen Kaffee zum Aufwärmen und Aufwachen. Zurück zum Hotel, dessen Eingangstür mittlerweile offen war. Oben im Treppenhaus steckte der Schlüssel wie vereinbart in der Wohnungstür. Ich konnte rein und mich dort aufs Sofa hauen. Doch nach 10 Minuten war der Erste wach und die Nacht endgültig beendet. Es folgte ein schrecklich müder Tag mit erbarmungslosem Restkater – das war aber alles besser als werdender Vater. Die Lorena … mit dem Rückflug glaubte ich sie los zu sein, doch wieder geirrt. Monate später fand sie mich auf Facebook und teilte mir mit, dass sie gerade in Italien ist und fragte, wo in Deutschland ich wohne. Ich entschiede mich für den digitalen Freitod.