Liebes-Marathon in 5 Stunden
Wer mich kennt weiß, dass ich mich recht schnell für ein apartes Mädel begeistern kann. Dieses nach Außen wirkende Verhalten bringt mir oft den Ruf „Du nimmst echt jede!“ ein. Doch wer das sagt der kennt mich nicht. Begeisterung ist nicht gleich Verlangen oder gar Verlieben. Dass ich jedoch einmal ein Mädel in nur 5 Stunden verführte, zur ungewollten Freundin bekam und hinterher loswerden musste, war auch mir eine neue Erfahrung… oder hatte sie mich verführt?
Es passierte im Bus auf der Rückfahrt nach der Schule. Ich war gerade volljährig, sie etwas darunter. Ich war völlig fasziniert von ihrem schönen Gesicht, sie völlig fasziniert dass sie jemand schön fand. Ich quatschte sie an, sie gab mir ihre Nummer. Ich nannte meinen Namen, sie ihren. Ich verließ den Bus, sie diesen eine Station später. Das ganze Spiel hatte 5 Minuten gedauert – das 5-Stunden-Drama begann jetzt.
Ich war noch nicht einmal zu Hause angekommen, da kam bereits die erste SMS, ob wir uns nicht treffen wollen. (Un)Glücklicherweise wohnte sie im selben Dorf wie ich, somit war das kein großes Problem. Freudestrahlend erzählte ich meiner Schwester von meinem ersten Date im Leben. Bei dem Namen meiner neuen Flamme wusste sie sofort, wen ich meinte, und hatte auch gleich eine Persönlichkeitsbeschreibung parat: Dumm wie Brot. Hm, das war mir im Bus gar nicht aufgefallen … „Und ihr Bruder ist übrigens ein dorfbekannter Schläger!“ Ja, so steigert man die Vorfreude auf ein Date beachtlich. Ich ließ mich jedoch nicht beirren, verteidigte meine neue Angebetete und zog von dannen.
Beim vereinbarten Treffpunkt traf mich der erste Schlag: Im Bus hatte ich nur ihr Gesicht gesehen, aber nicht den Rest. Und der war, nett ausgedrückt, beachtlich. Während ich heute eine beeindruckende Leibesfülle nur untergeordnet beachte und mir Gesicht, Charakter und Lebenseinstellungen viel wichtiger sind, war es damals ein NoGo für mich. Und es wurde nicht besser: Mein verzweifelter Versuch, vor dem Zielanflug umzukehren, wurde jäh durch ein „Da bist du ja, Schatzi!“ unterbrochen. Mist, sie hatte mich bereits gesehen. Und wie bitte, hatte sie Schatzi gesagt? Nein, verkehrter Film! Durch den Schleier aufkommenden Entsetzens wurde mir gerade noch gewahr, dass sie sich angezogen hatte, als wollte sie mit mir ins Freudenhaus und Standesamt zugleich gehen. „Was machen wir jetzt schönes?“ drang zu mir durch. Die Worte „Wir gehen dahin, wo mich keiner meiner Freunde sieht“ blieben mir im Hals stecken, also führte ich stumm den Trauerzug an.
Kinderspielplätze: Das sind die besten Orte, wo man sich tagsüber vor gerade Volljährigen verstecken kann. In dem Alter ist man zu alt zum Spielen und meidet diese Plätze bis zum Abend, wenn sich die Mütter mit ihren Kindern verdrückt haben und man dort abhängen kann. Da es erst Nachmittag war, suchte ich geschickt eine Route durch mein Heimatdorf, auf der möglichst wenig los und möglichst viele Spielplätze lagen. Wenigstens dieses Glück blieb mir hold; ich traf niemanden, den ich kannte. Auf dem Weg musste ich weitere Wortschwalle wie „Bin ich froh, dich getroffen zu haben!“ und „Meine Freundinnen werden vor Neid platzen!“ über mich ergehen lassen. Meinen Kommentar „Mir wäre lieber, wenn du platzt“ verbiss ich mir schamerfüllt. Denn meine Schwester hatte Recht gehabt: Nachdem ich sie nun etwas besser kannte, wusste ich auch um ihren eher geringen Itelligenzquotienten. Oder mit heutigen Worten: Total lieb, aber blöd.
Für sie war der erste Dating-Part der liebkosenden Worte nun abgeschlossen und sie fing an, meine körperliche Nähe zu suchen. Zu der Zeit hatte ich Null Erfahrung mit Frauen und die im Bus vorhandene Anziehung zu ihr hatte sich umgepolt. Daher arbeitete ich mit allen Mitteln daran, Abstand zu halten. Während sie daran arbeitete, diesen zu verringern. Geschickt wurden die auf einem Spielplatz vorhandenen Dating-Beschleuniger wie Rutsche und Schaukel in ihr Bedürfnis nach Nähe eingewebt, indem sie sich theatralisch von diesen Bauwerken der Liebe in meine Arme stürzen wollte. Die Worte „Fang mich auf, mein Held!“ gingen im Sandstaub unter, wenn sie daneben fiel, weil ich zu weit weg für jeglichen Auffangversuch stand. Aber Aufgeben war einfach nicht ihres – klare Worte nicht meines.
Wir verließen endlich den letzten Spielplatz der Liebe und kamen an einem Feldweg an, wo sie mir eröffnete, dass sie mich noch heute ihren Freundinnen als ihren ersten Schatz vorstellen wolle. Und wie glücklich sie sei, endlich auch vergeben zu sein, nachdem sie als letzte in ihrer Clique noch single war. Nun war ich restlos am Ende und flüchtete mich auf den nächsten Baum. Wie erwartet kam sie mit ihrer Leibesfülle nicht nach, doch blieb völlig enspannt, setzte sich neben den Baum und wartete darauf, dass ihr verängstigtes Jagdopfer wieder herunterkommen würde. In der nächsten Stunde sprach sie vor allem mit Spaziergängern über ihren „Klettermaxe“ und „Baumtarzan“, während ich stumm um Hilfe schrie. Doch niemand half.
Geschlagen und ergeben zog ich den Schwanz ein, kletterte abwärts und machte mich mit einer überglücklichen Zwangsfreundin auf zurück ins Dorf. Und da zog sie die letzte Karte: „Komm mit mir nach Hause, dann können wir ungestört kuscheln!“ Mir wurde endlich klar, dass ich Opfer eines perfiden Planes war, bis ins Detail ausgeheckt, die Fäden besser gesponnen als jede Hochintelligente es könnte. Kuscheln war bestimmt ihre Umschreibung für Flachlegen und Verhütung wäre das letzte Gesprächsthema an diesem Abend geworden. Vermutlich wäre es eher um die Anzahl Kinder, Hauskauf und gemeinsam alt werden gegangen … und da, zum ersten Mal, war ich zu einer Reaktion fähig: „Nein, ich muss nach Hause, es gibt Abendessen!“ Das war gelogen und doch schaffte ich den Absprung schließlich, bevor ich Vater wurde.
Zurück zu Hause konnte meine Schwester an meinem Blick alles ablesen und ich tat das, was unter aller Würde ist: Schlussmachen per SMS. Wobei, waren wir überhaupt zusammen gewesen? Wer legt das denn fest? Ein Partner, oder beide, ist es ein unausgesprochenes Einverständnis? Ich hatte ja nie gegen sie protestiert, aber auch nie zugestimmt … zumindest eines war mir nun klar: Dating ist scheiße.