Männliche Pubertät

endet nie!

Männer, sagt man gerne, sind:
– erwachsene Kinder
– werden nie erwachsen
– sind hormongesteuert

Sicher trifft das nicht auf alle zu, aber wenn man meine Geschichten so liest, haben diese Sprüche doch einen Ursprung. Wenn ich über meine Ü30er-Zeit nachdenke, komme ich manchmal auch zu dem Schluss, dass ich irgendwie noch mitten in der Pubertät gesteckt habe. Vielleicht sage ich das ja später über meine Ü40er-Zeit. Vielleicht war auch wieder der liebe Alkohol schuld. Vielleicht auch alles zusammen.

Mit vielen Kollegen meiner damaligen Firma verband mich eine freundschaftliche Beziehung. Wir waren auf der Arbeit Kollegen, nach der Arbeit Freunde und nachts Partygenossen. Wir hielten auf der Arbeit meistens zusammen und teilten abends unser Bier. Und wir feierten wilde Parties. Bei einer dieser Feiern am Wochenende, ich meine es war ein Junggesellenabschied, zogen wir des Nachts durch unsere Stadt. Unsere Firma hatte den Vor- und Nachteil, dass sie direkt neben einer Brücke lag, die einzige in der Gegend, um über einen breiten Fluss zu kommen. Somit musste man ziemlich häufig am Firmengelände vorbei, wenn man zwischen Innenstadt und Außenbezirken wechseln wollte. Heute war dies ein Nachteil, denn wir fanden auf unserem Weg gen Innenstadt eine nette Straßensperrung neben dem Firmengelände vor, die wir flugs so umbauten, dass eine Seitenstraßen-Kreuzung unpassierbar wurde. Diese Kreuzung würden am Montag zum Arbeitsbeginn viele unserer Kollegen nehmen wollen und denen wollten wir den Start etwas versüßen. Eine letzte Absperrbake nahmen wir mit und hinterließen sie als Geschenk im Eingangsbereich des Firmen-Hauptgebäudes.

Es folgte nun eine wilde Party in der Innenstadt, an deren Details ich mich nicht mehr so ganz erinnere. Ich weiß nur noch, dass gen Ende niemand mehr trinken konnte, aber der letzte noch Stehende zwei Schnappslatten Mexikaner bestellte. Zwangsweise musste ich eine davon trinken, weil ich mich noch irgendwie auf den Beinen hielt. Dieses Gesöff aus Tomatensaft und Korn werde ich nie wieder vergessen – es ist mir bis heute ein Grauen. Die Wirkung setzte erwartungsgemäß etwas verzögert ein, aber irgendwann wurde mir doch schlecht und ich entschied mich für taktischen Rückzug. Ich vergaß die Verabschiedung und schaffte es gerade noch bis vor die Tür an den Kanal, wo ich diesem meine Getränke der letzten Stunden servierte.

Sichtlich erleichtert, aber nicht weniger besoffen wankte ich nun gen Heimat. Es war ein Fußmarsch von 7 km, für mich im Normalfall eine Kleinigkeit. Mein erstes Ziel war die Brücke, um über den Fluss zu kommen. Dummerweise querte ich dabei mein Firmengelände erneut und nochmal dummerweise hatte ich deutlichen Harndrang. Die Firma war wie ein familiärer Ersatz für mich geworden, nachdem ich meine langjährige Beziehung beendet hatte, aber mit meiner Chefin war ich nie klar gekommen. Just in diesem Moment wurde mir diese Tatsache wieder sehr deutlich und das Firmenschild lud dazu ein, ihr dies nachdrücklich zu demonstrieren. Lang lebe die Pubertät! Nach getanem Werk setzte ich meinen Weg fort.

Kurz vor der Brücke kam ich an einem unserer Produktionsgebäude vorbei. Da ich betrunken, nun vom Harndrang befreit und zudem sehr müde war, entschloss ich mich, dass ein kleines Nickerchen im Graben zwischen Parkplatz meiner Firma und der Straße ganz gut tun würde. Zum Glück war es sommerlich warm und die Nacht erträglich. Mein Schlaf des Gerechten verlief jedoch nicht sehr lange, weil mich irgendwann ein Autofahrer gesehen haben musste und telefonierend oben an der Straße stand. Trotz geistiger Vernebelung wurde mir klar, dass ich demnächst Blaulicht-Besuch bekommen könnte, daher stand ich einfach auf und wankte am entsetzten Autofahrer vorbei. Was der nun ohne mich machte, war mir ziemlich egal.

Ich überquerte die Brücke und schlug als Weg eine lange Straße durch ein Industriegelände ein, das nachts verlassen war. Bis auf einen Schwarzen, der mir – sein Fahrrad schiebend und mit Bier beladen – entgegen kam. Man geißele mich, wenn das Wort Schwarz heute nicht mehr angemessen ist, aber ich habe nach all den Diskussionen um die richtige Begriffswahl einfach keine Ahnung mehr, was nun richtig oder falsch sein soll. In jedem Fall hatte er eine andere Hautfarbe und konnte nur Englisch. Es war die Zeit, als die massiven Flucht- und Migrationsbewegungen aus Afrika gen Europa starteten, daher vermutete ich, dass er auf diesem Weg hier gelandet war und ein besseres Leben suchte. Er hielt mich auf und begann ein Gespräch auf Englisch, was wir beide – auf Grund unseres Alkoholpegels – nicht unbedingt sprachlich vorbildlich führten, aber es klappte überhaupt. Er drückte mir eines seiner Biere in die Hand und wir prosteten uns zu.

Das Gespräch verlief dann recht schnell in eine Richtung: Er habe eine Wohnung mit Freunden in der Nähe und lud mich ein mitzukommen. Trotz meiner geistigen Vernebelung habe ich in solchen Situationen immer einen wachen Geist für Gefahren, der mich schon so einige Male gewarnt hat. Auch hier war mir klar, dass es keine gute Idee war, mit einem völlig Fremden nachts um 2 Uhr zu dessen Wohnung zu gehen, wo zudem noch weitere Fremde sein sollten. Zwar konnte er es ebenso gut meinen und einfach froh darüber sein, mit jemandem in einem fremden Land reden zu können; außerdem ist die Gastfreundschaft in den meisten anderen Ländern sicher höher als bei uns. Dennoch sagte mir meine innere Stimme deutlich Nein. Ich erzählte ihm etwas von einer Freundin, die auf mich zu Hause warte und dass ich weiter müsse, aber er blieb hartnäckig. Am Ende wurde er wütend, riss mir das Bier aus der Hand und ging laut fluchend weiter. Ein Bier also im Tausch gegen eine nächtliche Wohnungsbesichtigung?

Ich setzte meinen Weg alleine fort. Der neue Alkohol und das Gespräch hatten mich wieder müde gemacht; also brauchte es einen neuen Schlafplatz. Um nicht erneut von einem blöden Autofahrer gestört zu werden, kletterte ich eine Böschung neben der Straße zu Schienengleisen hinunter. Soweit ich mich in meinem Suff erinnern konnte, fuhren hier nur tagsüber Güterzüge zu den Industriegebäuden. Und es gab keinen Durchgangsverkehr, da alle Gleise irgendwo endeten. Zur doppelten Sicherheit legte ich mich neben die Gleise und nicht auf.

Irgendwann wachte ich auch hier wieder auf, denn so Gleisbetten sind nicht gerade ein Federbett-Luxus und selbst ein Straßengraben hat dagegen Jugendherbergen-Qualität. Somit beendete ich den zweiten Versuch meiner Nachtruhe und machte mich wieder auf, meine Wohnung zu finden. Im weiteren Verlauf meines Heimwegs schrieb ich meiner Exfreundin noch irgendwelche mitleidserregenden SMS, die sogar um diese Uhrzeit von ihr beantwortet wurden. Obwohl ich es nicht ansatzweise verdiente, machte sie sich Sorgen um mich. Immerhin ermutigte mich die Tatsache, mitten in der Nacht emotionalen Zuspruch zu bekommen, dazu, den restlichen Weg bis nach Hause zu schaffen. Und so fand ich mich am nächsten Morgen schlafend auf meinem Flurteppich. Die Schuhe hatte ich noch ausgezogen gehabt und sogar eine Info an meine Exfreundin geschickt, dass ich zu Hause war.

Ja, wir Männer werden irgendwie nie erwachsen. Was würden wir nur ohne mitfühlende Frauen machen?